Dantons Tod

Drama von Georg Büchner
Premiere: 13. Februar 2016 Luzerner Theater

Wir alle sind Schurken und Engel, Dummköpfe und Genies und zwar das alles in einem,
die vier Dinge finden Platz genug in dem nämlichen Körper.

Die Welt ist das Chaos
Andreas Herrmann im Gespräch mit Erik Altorfer

E. A.: «Dantons Tod» verbindet, zitiert und parodiert Elementarpoesie und Bildungswissen, Deutsche und Französische Romantik, Shakespeares Geschichtsdramen und das Drama der Geschichte. Das Stück zeichnet sich durch grosse Offenheit aus.
A. H.: Auf den ersten Blick könnte man denken, Büchners Drama sei ein Stück über die Französische Revolution; das ist es aber nicht. Vielmehr spielt sich im Stück – auf der Folie geschichtlicher Ereignisse – ein konstruiertes Drama ab, das politische und menschliche Konflikte sinnlich macht und damit verbundene Fragen aufwirft. Georg Büchner war Revolutionär und Künstler. In seinem Werk als Theaterautor agitiert er nicht, sondern geht seinen tiefsten Überzeugungen und den damit verbundenen Zweifeln nach. In diesem Sinne stehen sich die Sehnsucht nach politischer Veränderung, auch die Gewissheit der Notwendigkeit von Veränderung und die Zweifel an seiner Machbarkeit gegenüber. Diesem Paradox stellt sich dieses Stück in aussergewöhnlicher und gnadenloser Konsequenz.

«Die Welt ist das Chaos» heisst es in «Dantons Tod» bereits vor fast 200 Jahren. Heute beobachten wir eine Welt in Aufruhr, gescheiterte Revolutionen, Armut, Krieg, Terror und Vertreibung.
Natürlich lesen wir ein klassisches Stück immer aus der Perspektive unserer Lebensrealität, somit verändert sich die Rezeption eines solchen Werks ständig. Und natürlich ist nicht von der Hand zu weisen, dass sich uns heute Themen dieses Stoffs geradezu aufdrängen; wenn es zum Beispiel um Fragen sozialer Ungleichheit, enttäuschter Hoffnungen im Zusammenhang mit revolutionären Bewegungen, um Erosionen demokratischer Errungenschaften geht. Für mich steht die Auseinandersetzung im Zentrum, ob wir an die Möglichkeit gesellschaftlicher Veränderung zum Besseren noch glauben können oder ob wir von fatalistischen Gedanken geprägt sind, dass jede revolutionäre Bestrebung pervertiert wird und machtpragmatischen Handlungen zum Opfer fällt. Können wir noch von einer besseren Zukunft träumen, Utopien der Möglichkeit eines menschenwürdigen Daseins in der Gesellschaft ernst nehmen und diskutieren – oder haben wir schon längst die Meinung akzeptiert, dass unsere Welt von anderen komplexen und undurchschaubaren Interessen gelenkt wird?

Vermag das Stück Antworten auf diese Fragen zu geben? Man muss sich damals wie auch heute die Frage stellen, ob Erfahrungen aus der Geschichte Gesellschaften verbessern oder ob Geschichte vielmehr ein chaotisches Auf und Ab von besseren und schlechteren Zeiten ist. Der Widerspruch, der in diesen Fragen liegt, zeigt sich in Büchners Stück auch im Riss, der durch die Figuren geht: Menschen, die leben wollen, lieben, geniessen, diskutieren – während ein Teil ihres Bewusstseins schon längst kapituliert hat – und wenn sie auch den Tod nicht aktiv suchen, so wird er doch zum einzig möglichen Ausgang aus dem Konflikt.
Für mich bildet das Stück eine Art Requiem, einen Akt des Trauerns um die Unmöglichkeit, Dinge zum Besseren zu verändern – und: Gelegenheit über diesen Widerspruch nachzudenken, möglicherweise mit dem Ergebnis, das nicht zu akzeptieren!


Pressestimmen
In der Luzerner Inszenierung des Büchner'schen Revolutionsdramas hat es auch Platz für Humor und Spektakel. Für Lacher sorgten an der Premiere die derb-bösen Auftritte von Bettina Riebesel und Jörg Dathe als Pöbelpaar. Das Highlight der Inszenierung war die Rede von Saint-Just, der in Hitler'scher Rhetorik den Blutzoll der Revolution rechtfertigt. Wiebke Kayser, souverän in ihrer Rolle als Saint-Just, schmetterte das Pamphlet von der Spitze der aufgerichteten Kuppel gnadenlos ins Publikum. Die Rede endete mit den bombastischen Klängen der «Marseillaise». Ein starkes Bild.
Neue Luzerner Zeitung, 15. Februar 2016
 

Regisseur Andreas Herrmann bricht diese klassische Handlung immer wieder mit modernen Einschüben auf. So kommt z. B. das aufständische Volk, gespielt von den beiden hervorragenden Schauspielern Jörg Dathe und Bettina Riebesel, ziemlich komisch daher. Hier kommen auch kritische Zwischentöne zum Vorschein: Man mokiert sich über die Austauschbarkeit und die Belanglosigkeit der heutigen Aufstände der Wohlstandsgesellschaft und ihre Parolen. (O-Ton 4) Auch das Bühnenbild, sehr reduziert und düster daherkommend, verweist auf die heutige politische Situation. Die sich drehende Halbkugel ist die Welt, die sich stetig wandelt, und die Menschen, die darauf balancieren und ständig wieder hinabrutschen, ein Symbol dafür, dass die Lage instabil ist und die Gesellschaft vergeblich versucht, festen Boden unter den Füssen zu finden. Die feinen Zwischentöne sind sehr clever gewählt und lockern die schwere Kost auf. Auch die Sprache wird zelebriert, sodass jeder Satz beinahe wie ein Zitat klingt.
Radio SRF 1, Regionaljournal Zentralschweiz, 14. Februar 2016
 
Messerscharfe, besser Guillotinen scharfe Dia- und Monologe prägen dieses Drama, das Georg Büchner in sehr jugendlichem Alter knapp 50 Jahre nach den tatsächlichen Ereignissen verfasste. Eine Art «Stück im Stück» flocht die Dramaturgie mit den, teils in sächsischem Dialekt rezitierten Dialogen durch Bettina Riebesel (ein Mann) und Jörg Dathe (eine Frau) in auflockernder und sehr aktueller, auf heutige Vorkommnisse bezugnehmende, Weise ein. (...) Ein in jeder Hinsicht überzeugender, packender und aufwühlender Schauspielabend, ganz grosses Theater im «Haus an der Reuss». Die Akteure, durften sich dann auch einen kräftigen Applaus abholen (...).
innerschweiz online, 14. Februar 2016
 
Wir drehen uns im Kreis, könnte man meinen. Wie sonst lässt sich die Brisanz von Georg Büchners Werk, das 1835 verfasst wurde, erklären? Parallelen zum Arabischen Frühling finden sich unter anderem im Programmheft (das übrigens äusserst lesenswert ist). Revolutionen folgen auf Revolutionen, beziehungsweise führen zu diesen, um bei der Kreismetapher zu bleiben. Jeder Umschwung definiert die Bedingungen der jeweiligen Zeit neu und schafft somit wieder Raum für weitere Subversionen. «Wir haben nicht die Revolution, sondern die Revolution hat uns gemacht.», legt Danton im 2. Akt dar. (...) Der drehende Kreis bildet an diesem Abend nicht nur die metaphorische Umrahmung, sondern ist gleichsam auch zentral für das Bühnenbild – eine sich um die eigene Achse drehende Halbkugel. Halt zu finden auf dieser, gelingt den Protagonisten nur selten. Sie stolpern, rutschen runter, zerschlagen sich an ihr und werden zuletzt von ihr verschluckt. Dantons Äusserung, «Die Revolution ist wie Saturn, sie frisst ihre eignen Kinder.», passt hier wie die Faust aufs Auge. Auch in technischer Hinsicht beeindruckt diese Bühneninstallation, die im späteren Verlauf sogar schwebend fungiert und somit für mehrere spektakuläre Augenschmäuse sorgt.
kultURTEIL.ch, 14. Februar 2016

Produktionsteam
Andreas Herrmann Inszenierung
Max Wehberg Bühne
Catherine Voeffray Kostüme
Erik Altorfer Dramaturgie
David Hedger Licht
T + T Fotografie Fotos
Valentin Pitarch Trailer
Besetzung
Christian Baus (Georg Danton), Judith Cuénod (Lacroix), Jörg Dathe (Herrmann/Marion/Eine Frau), Julia Doege (Robespierre), Hans-Caspar Gattiker (Philippeau), Wiebke Kayser (St. Just/Julie), Lilli Lorenz (Legendre/Lucile), Bettina Riebesel (Thomas Payne/Ein Mann), David Michael Werner (Camille Desmoulins)
Timo Huser (Ein Tambourjunge), Carla Strobel (Ein Mädchen)


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